5. Nebenübung von Rudolf Steiner

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Unvoreingenommenheit (5. Nebenübung)

Rudolf Steiner verwendet für diese 5. Nebenübung wiederum verschiedene Namen, Unvoreingenommenheit, Vorurteilslosigkeit, Freiheit von Urteilen, Fortwährendes Offensein und Geistige Offenheit für jede neue Erscheinung. Wiederum beschreiben all diese Namen zusammen den Wesenskern der 5. Nebenübung.

Eine Auswahl von Rudolf Steiner Zitaten für die 5. Nebenübung

Seelenübungen mit Wort- und Sinnbild ... | GA 267, S. 60

«Im fünften Monat versuche man dann in sich das Gefühl aus­zubilden, völlig unbefangen einer jeden neuen Erfahrung gegen­überzutreten. Was uns entgegentritt, wenn die Menschen gegen­über einem eben Gehörten und Gesehenen sagen: «Das habe ich noch nie gehört, das habe ich noch nie gesehen, das glaube ich nicht, das ist eine Täuschung», mit dieser Gesinnung muß der esoterische Schüler vollständig brechen. Er muß bereit sein, jeden Augenblick eine völlig neue Erfahrung entgegenzunehmen. Was er bisher als gesetzmäßig erkannt hat, was ihm als möglich er­schienen ist, darf keine Fessel sein für die Aufnahme einer neuen Wahrheit. Es ist zwar radikal ausgesprochen, aber durchaus rich­tig, daß wenn jemand zu dem esoterischen Schüler kommt und ihm sagt: «Du, der Kirchturm der X-Kirche steht seit dieser Nacht völlig schief», so soll der Esoteriker sich eine Hintertür offen lassen für den möglichen Glauben, daß seine bisherige Kenntnis der Naturgesetze doch noch eine Erweiterung erfahren könne durch eine solche scheinbar unerhörte Tatsache. Wer im fünften Monat seine Aufmerksamkeit darauf lenkt, so gesinnt zu sein, der wird bemerken, daß sich ein Gefühl in seine Seele schleicht, als ob in jenem Raum, von dem bei der Übung im vierten Monat gesprochen wurde, etwas lebendig würde, als ob sich darin etwas regte. Dieses Gefühl ist außerordentlich fein und subtil. Man muß versuchen, dieses subtile Vibrieren in der Umge­bung aufmerksam zu erfassen und es gleichsam einströmen zu lassen durch alle fünf Sinne, namentlich durch Auge, Ohr und durch die Haut, insofern diese letztere den Wärmesinn enthält. Weniger Aufmerksamkeit verwende man auf dieser Stufe der eso­terischen Entwickelung auf die Eindrücke jener Regungen in den niederen Sinnen, des Geschmacks, Geruchs und des Tastens. Es ist auf dieser Stufe noch nicht gut möglich, die zahlreichen schlechten Einflüsse, die sich unter die auch vorhandenen guten dieses Gebiets einmischen, von diesen zu unterscheiden; daher überläßt der Schüler diese Sache einer späteren Stufe.»[1] [Lit.: GA 267, S. 60]

Geheimwissenschaft im Umriss, 1909 | GA 13, S. 335

«Das Den­ken in Ver­bin­dung mit dem Wil­len er­fährt ei­ne ge­wis­se Rei­fung, wenn man ver­sucht, sich nie­mals durch et­was, was man er­lebt oder er­fah­ren hat, die un­be­fan­ge­ne Emp­fäng­lich­keit für neue Er­leb­nis­se rau­ben zu las­sen. Für den Geis­tes­schü­ler soll der Ge­dan­ke sei­ne Be­deu­tung ganz ver­lie­ren: «Das ha­be ich noch nie ge­hört, das glau­be ich nicht.» Er soll wäh­rend ei­ner ge­wis­sen Zeit ge­ra­de­zu übe­rall dar­auf aus­ge­hen, sich bei je­der Ge­le­gen­heit von ei­nem je­g­li­chen Din­ge und We­sen Neu­es sa­gen zu las­sen. Von je­dem Luft­zug, von je­dem Baum­blatt, von je­g­li­chem Lal­len ei­nes Kin­des kann man ler­nen, wenn man be­reit ist, ei­nen Ge­sichts­punkt in An­wen­dung zu brin­gen, den man bis­her nicht in An­wen­dung ge­bracht hat. Es wird al­ler­dings leicht mög­lich sein, in be­zug auf ei­ne sol­che Fähig­keit zu weit zu ge­hen. Man soll ja nicht et­wa in ei­nem ge­wis­sen Le­bensal­ter die Er­fah­run­gen, die man über die Din­ge ge­macht hat, au­ßer acht las­sen. Man soll, was man in der Ge­gen­wart er­lebt, nach den Er­fah­run­gen der Ver­gan­gen­heit be­ur­tei­len. Das kommt auf die ei­ne Waag­scha­le; auf die an­de­re aber muß für den Geis­tes­schü­ler die Ge­neigt­heit kom­men, im­mer Neu­es zu er­fah­ren. Und vor al­lem der Glau­be an die Mög­lich­keit, daß neue Er­leb­nis­se den al­ten wi­der­sp­re­chen kön­nen.»[2] [Lit.: GA 13, S. 335]

Wie erlangt man Kenntnis von höheren Welten? | GA 10, S. 129

«Das fünfte ist die Unbefangenheit gegenüber den Erscheinungen des Lebens. Man spricht in dieser Beziehung auch von dem «Glauben» oder «Vertrauen». Der Geheimschüler tritt jedem Menschen, jedem Wesen mit diesem Vertrauen entgegen. Und er erfüllt sich bei seinen Handlungen mit solchem Vertrauen. Er sagt sich nie, wenn ihm etwas mit­geteilt wird: das glaube ich nicht, weil es meiner bisherigen Meinung widerspricht. Er ist vielmehr in jedem Augenblicke bereit, seine Meinung und Ansicht an einer neuen zu prüfen und zu berichtigen. Er bleibt immer empfänglich für alles, was an ihn herantritt. Und er ver­traut auf die Wirksamkeit dessen, was er unternimmt. Zaghaftigkeit und Zweifelsucht verbannt er aus seinem Wesen. Hat er eine Absicht, so hat er auch den Glauben an die Kraft dieser Absicht. Hundert Mißerfolge können ihm diesen Glauben nicht nehmen. Es ist dies jener "Glaube, der Berge zu versetzen vermag".»[3] [Lit.: GA 10, S. 129]

Aus den Inhalten der esoterischen Stunden, Band III, Leipzig, 2. Januar 1914 | GA 266/3, S. 244f

«„Auf der fünften Stufe entwickeln wir Manas oder Geistselbst. Da dürfen wir uns nicht festlegen auf dasjenige, was wir bisher gesehen, gelernt, gehört haben. Wir müssen lernen, von alle dem abzusehen, uns allem, was uns entgegentritt, ganz wie ausgeleert von dem Bisherigen zu erhalten. Manas kann nur entwickelt werden, wenn man lernt, alles, was wir uns durch Eigendenken erworben haben, doch nur zu empfinden als etwas Minderwer­tiges gegenüber dem, was wir uns erwerben können, indem wir uns den Gedanken öffnen, die aus dem gottgewobenen Kosmos einströmen. Aus diesen göttlichen Gedanken ist alles, was uns umgibt, entstanden. Wir haben sie nicht durch unser bisheriges Denken finden können. Da verbergen es uns die Dinge. Jetzt lernen wir hinter allem wie ein verborgenes Rätsel dies Göttliche zu erahnen. Immer mehr lernen wir in Bescheidenheit einsehen, wie wenig wir bisher von diesen Rätseln ergründet haben. Und wir lernen, daß wir eigentlich alles aus unserer Seele entfernen müssen, was wir bisher gelernt haben, daß wir ganz unbefangen, wie ein Kind, allem entgegentreten müssen - daß sich nur der Unbefangenheit der Seele darbieten die göttlichen Rätsel, die uns umgeben. Kindlich muß die Seele werden, um in die Reiche der Himmel eindringen zu können. Der kindlichen[…]»[4] [GA 266/3, S. 244f]

Über die astrale Welt und das Devachan | GA 88, S. 178

«Glaube. Der Chela soll das freie, offene, unbefangene Herz für das höhere Geistige haben. Auch wo er eine höhere Wahrheit nicht gleich erkennt, soll er den Glauben haben, bis er diese sich durch Erkenntnis zu eigen machen kann. Wenn er nach dem Grundsatz «Alles prüfen und das Beste behalten» verfahren wollte, so würde er sein Urteil als Maßstab anlegen und sich über das höhere Geistige stellen und dem Eindringen desselben sich verschließen.»[5] [Lit.: GA 88, S. 178f]

Vorträge vor der Anthroposophischen Gesellschaft in Stuttgart: Vor dem Tore der Theosophie | GA 95, S. 119

«Glaube. Das nächste ist der Glaube. Glauben drückt im okkulten Sinne etwas anderes aus, als was man in der gewöhnlichen Sprache darunter versteht. Man soll sich niemals, wenn man in okkulter Entwickelung ist, in seinem Urteil durch seine Vergangenheit die Zukunft bestimmen lassen. Bei der okkulten Entwickelung muß man unter Umständen alles außer acht lassen, was man bisher erlebt hat, um jedem neuen Erleben mit gläubiger Stimmung gegenüberstehen zu können. Das muß der Okkultist bewußt durchführen. Wenn einer zum Beispiel kommt und sagt: Der Turm der Kirche steht schief, er hat sich um 45 Grad geneigt so würde jeder sagen: Das kann nicht sein. Der Okkultist muß sich aber noch ein Hintertürchen offen lassen. Ja, er muß so weit gehen, daß er jedes in der Welt Erfolgende, was ihm entgegentritt, glauben kann, sonst verlegt er sich den Weg zu neuen Erfahrungen. Man muß sich frei machen für neue Erfahrungen; dadurch werden der physische und der Ätherleib in eine Stimmung versetzt, die sich vergleichen läßt mit der wollüstigen Stimmung eines Tierwesens, das ein anderes ausbrüten will.»[6] [Lit.: GA 95, S. 119]
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Literatur

Einzelnachweise

  1. Rudolf Steiner: Seelenübungen mit Wort- und Sinnbild-Meditationen, [GA 267, S. 60]
  2. Rudolf Steiner: Die Geheimwissenschaft im Umriß, [GA 13, S. 335]
  3. Rudolf Steiner: Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?, [GA 10, S. 129]
  4. Rudolf Steiner: Aus den Inhalten der esoterischen Stunden, Band III, [GA 266/3, S. 244f]
  5. Rudolf Steiner: Über die astrale Welt und das Devachan, [GA 88, S. 178]
  6. Rudolf Steiner: Vor dem Tore der Theosophie, [GA 95, S. 119]